Ursprünge des Nahostkonflikts

Entgegen gängiger Meinung ist der Nahostkonflikt kein ewiger Konflikt zwischen Arabern und Juden, sondern hat eine relativ junge Geschichte. Der Versuch einer Aufarbeitung.

Im Zuge eines folgenschweren Angriffs der militanten Al-Qassam-Brigaden der Hamas auf israelische Siedlungen um den Gazastreifen am 7. Oktober 2023 mit etwa 1200 Todesopfern, haben westliche Staaten den Angriff der Hamas verurteilt und zugleich das Recht Israels auf Selbstverteidigung betont. Was dabei allerdings vergessen wird, und in sämtlichen Medien kaum Behandlung findet, ist der permanente Zustand der israelischen Besatzung und die Unterdrückung einer indigenen Bevölkerung, welche seit etwa 100 Jahren andauert und in direktem Zusammenhang mit der jüngsten Gewalteskalation steht. Hier sei nur eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten historischen Fakten gegeben und auf weitere Referenzen verwiesen, um sich ein besseres Bild der Situation machen zu können. Die folgenden Eckdaten sind dabei aus mehreren Quellen zusammengetragen. 1 2 3

<1900

Das Gebiet Palästinas

war über Jahrhunderte Teil des Osmanischen Reiches

1917

Balfour-Deklaration

sichert die Unterstützung Großbritanniens für die Errichtung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina, das damals zu 94% aus arabischen Palästinensern und zu 6% aus Juden besteht

1918

Eroberung Palästinas

durch die britische Kolonialmacht

1922

Mandat des Völkerbundes

an Großbritannien zur Gründung Israels

1936-1939

Erster Widerstandskrieg

der Palästinenser wird von Großbritannien niedergeschlagen

1948

Errichtung des Staates Israel

und gewaltsame Vertreibung von ca. 750 000 Palästinensern (Nakba)

1967

Sechstagekrieg

Israel erobert die syrischen Golanhöhen, das Westjordanland, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel

1973

Yom-Kippur-Krieg

Versuch der Rückeroberung besetzter Gebiete durch Ägypten und Syrien

1979

Friedensvertrag von Camp David

zwischen Ägypten und Israel

1982

Libanonkrieg

Israels Invasion des Libanon und Besatzung Beiruts

1987

Erste Intifada

Aufstände in den besetzten Palästinensergebieten und Gründung der Hamas

1995

Oslo-Friedensprozess

zwischen Israel und Palästina

2000

Zweite Intifada

2006

Wahlen in Gaza

Freie Wahlen im Gazastreifen unter internationaler Beobachtung

2007

Blockade

Beginn der Blockade des Gazastreifens durch Israel

2008-2014

Großangriffe

Israels auf Gaza

Seit 1967 verabschiedete der UNSicherheitsrat mehr als 130 Resolutionen, die sich direkt mit dem arabischisraelischen Konflikt befassten, wobei viele davon die Rechte der Palästinenser betrafen. Nach den Worten von Michael Lynk, UN-Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten: „Seit mehr als 40 Jahren haben der UN-Sicherheitsrat und die UN-Generalversammlung in Hunderten von Resolutionen erklärt, dass die Annexion besetzter Gebiete durch Israel rechtswidrig ist, dass der Bau Hunderter jüdischer Siedlungen illegal ist und dass die Verweigerung der palästinensischen Selbstbestimmung gegen das Völkerrecht verstößt.“ 4 Auch Lynks Vorgänger als UN-Sonderberichterstatter, John Dugard, fand klare Worte in seinem offiziellen Abschlussbericht: „Es kommt zu groben, ungeheuerlichen und systematischen Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen humanitären Rechts in den besetzten palästinensischen Gebieten, begangen nicht von undisziplinierten und unkontrollierten Milizen, sondern von einer der diszipliniertesten und höchstentwickelten Armeen in der modernen Welt, die von einer stabilen und disziplinierten Regierung geführt wird.“ 5 Somit war die Situation in den besetzten Palästinensergebieten bereits lange vor der jüngsten Gewalteskalation im Oktober 2023 angespannt und sowohl UN, als auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben die Besatzung als ‚illegal‘ und ‚Apartheid-System‘ bezeichnet. 6 7 Konkret handelt es sich um folgende Menschenrechtsverstöße durch Israel, welche nicht erst seit kurzem, sondern systematisch über den Zeitraum von Jahrzehnten umgesetzt wurden:

  • Aufteilung in Kontrolldomänen
    Die einzelnen Palästinensergebiete (Gaza, Westjordanland) sind strikt getrennt in klarem Bruch des Oslo-Prozesses
  • Enteignung von Grundstücken und Eigentum
    Willkürliche Enteignung durch Behörden
  • Diskriminierung und Segregation
    Palästinenser haben in besetzten Gebieten nicht die gleichen Rechte wie jüdische Siedler (Apartheid)
  • Entzug wirtschaftlicher und sozialer Rechte
    Zugang zu Arbeitsmarkt und Grundversorgung ist für Palästinenser stark eingeschränkt
  • Willkürliche Verhaftung
    Palästinenser können aufgrund der herrschenden Militärverwaltung in besetzten Gebieten für unbestimmte Zeit unter Administrativhaft gestellt werden

Gaza und das Westjordanland zählen zu den ärmsten Regionen der Welt mit einem jährlichen BIP pro Kopf von ca. $ 3500 verglichen mit Israels von ca. $ 53000. 8 Der Gazastreifen steht außerdem seit 16 Jahren unter israelischer Blockade zu Land, Wasser und Luft. Gaza wurde daher auch als „das größte Freiluftgefängnis der Welt“ bezeichnet. 9 Schon lange vor dem 7. Oktober 2023 waren etwa 80% der Bevölkerung auf internationale Hilfe angewiesen. Dr. Mads Gilbert, Professor für Notfallmedizin am Universitätsklinikum von Nordnorwegen und mehrere Jahre in Gaza tätig, beschrieb die Situation bereits 2014 wie folgt: „Die von der israelischen Regierung verhängte Blockade bleibt der Hauptgrund für das Fehlen der Entwicklung der einst dynamischen und handelsorientierten Wirtschaft Gazas. Die Blockade erstickt was auch immer von der Wirtschaft und dem Lebensunterhalt der Gaza- Bewohner übrig blieb. […] Palästinensische Kinder in Gaza leiden enorm. Ein großer Teil davon ist vom menschengemachten Unterernährungsregime betroffen, verursacht durch die von Israel auferlegte Blockade. Prävalenz von Anämie bei Kindern unter 2 Jahren in Gaza liegt bei 72,8%, während Schwindsucht, Wachstumsverzögerung, und Untergewicht jeweils bei 34,3%, 31,4%, und 31,45% dokumentiert sind.“ 10
Diese Vorgangsweise wurde 2006 von Dov Weisglass, Berater von Ehud Olmert, dem damaligen Premierminister Israels, mit den folgenden Worten zusammengefasst: „Die Idee ist, die Palästinenser auf Diät zu setzen, sie aber nicht verhungern zu lassen.“ 11 Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass die israelischen Behörden Anfang 2008 ein Dokument erstellt hatten, in dem die Mindestkalorienaufnahme berechnet wurde, die die Palästinenser zur Vermeidung von Unterernährung benötigen, damit Israel die Menge der in den Gazastreifen zugelassenen Nahrungsmittel begrenzen konnte, ohne dass es zu einer völligen Hungersnot kam. 12

Historische Entwicklung Israels mit den entscheidenden Expansionsschritten. (Quelle: APA)

Quellen

  1. S. Anziska. Preventing Palestine: A Political History from Camp David to Oslo. Princeton University Press, 2020. ↩︎
  2. R. Khalidi. The Hundred Years’ War on Palestine: A History of Settler Colonialism and Resistance, 1917–2017. Metropolitan Books, 2020. ↩︎
  3. N. Chomsky. Fateful Triangle: The United States, Israel, and the Palestinians. South End Press, 1999. ↩︎
  4. United Nations. Israel’s occupation of Palestinian territory is ’apartheid’: UN rights expert (Link), March 2022. ↩︎
  5. United Nations. Statement by John Dugard, 59th Session of the UN General Assembly Third Committee, number 105 (c), New York, October 2004. ↩︎
  6. United Nations. Israeli occupation of Palestinian territory illegal: UN rights commission (Link), October 2022. ↩︎
  7. Amnesty International. Israel’s apartheid against Palestinians (https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2022/02/israels-system-of-apartheid), February 2022. ↩︎
  8. International Monetary Fund. Real Gross Domestic Products (Link), October 2023. ↩︎
  9. BBC News. David Cameron describes blockaded Gaza as a ’prison’ (Link), July 2010. ↩︎
  10. M. Gilbert. Brief Report to UNRWA: The Gaza Health Sector as of June 2014. UNRWA, 2014. ↩︎
  11. C. Urquhart. Gaza on brink of implosion as aid cut-off starts to bite. The Guardian, April 2006. ↩︎
  12. A. Hass. 2,279 calories per person: How Israel made sure Gaza didn’t starve. Ha’aretz, October 2012. ↩︎