Österreich und Israel

Die Geschichte einer turbulenten Beziehung, welche im aktuellen Alleingang und der zunehmenden Isolation Österreichs in EU und UNO mündet.

In jüngster Vergangenheit kam es zu einigen bemerkenswerten Aussagen hochrangiger österreichischer Politiker zum Nahostkonflikt, die eine nähere Betrachtung rechtfertigen. Das österreichische Naheverhältnis zu Israel ist umso erstaunlicher, als dass es aktuell in diametralem Gegensatz zu der Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft steht und sowohl jüngere, als auch jahrzehntelange, dokumentierte Menschen- und Völkerrechtsbrüche außer Acht lässt. 1 2 3

Isolation Österreichs bei den Vereinten Nationen

In Bezug auf die israelfreundliche Haltung der türkis-grünen Bundesregierung im Nahostkonflikt sagte Bundespräsident Alexander van der Bellen: „Ich finde das Abstimmungsverhalten Österreichs in der UNO richtig. Und zwar aus historischen Gründen. Österreich hat mit Israel ein ausgezeichnetes Verhältnis. Israel hat mit dem 7. Oktober einen unfassbaren Schock erlebt. Die Brutalität der Hamas ist unbegreiflich, abscheulich.“ 4 Dies war im Dezember 2023 und zu einer Zeit, als Österreich bereits mehrmals in Folge bei UN-Generalversammlungen gegen eine Waffenruhe in Gaza gestimmt hatte. Zu einer Zeit, als bereits völlig klar war, dass seit Anbeginn von Israels Feldzug mindestens 70% der Todesopfer Frauen und Kinder waren und der Internationale Gerichtshof in einer historischen Entscheidung den Völkermordsvorwurf Südafrikas an Israel als legitim betrachtet und weitere Untersuchungen angeordnet hat. 5

Bundespräsident Alexander van der Bellen bei einer Pressekonferenz in Israel 2019.
(Quelle: Präsidentschaftskanzlei)

Hier zahlt es sich aus, einen näheren Blick auf die Abstimmungsergebnisse der jüngsten UN-Resolutionen zu werfen:

  1. United Nations General Assembly Resolution ES-10/21
    forderte einen „sofortigen und dauerhaften“ humanitären Waffenstillstand und die Einstellung der Feindseligkeiten, verurteilte „alle gegen palästinensische und israelische Zivilisten gerichteten Gewalttaten“ und „fordert, dass alle Parteien ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen unverzüglich und vollständig nachkommen“. 6 Eine Mehrheit von 121 Staaten haben die Resolution am 27. Oktober 2023 angenommen, mit 44 Staaten, die sich der Stimme enthielten, und 14 Staaten, darunter Österreich, Israel und die USA, die dagegen stimmten. Am 25. Oktober, kurz vor der Abstimmung, forderte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, einen Waffenstillstand und erklärte, dass die Angriffe der Hamas „nicht im luftleeren Raum stattfanden“ und im Kontext der 56-jährigen „erdrückenden Besatzung“ Israels verstanden werden müssten. Er betonte, dass „die Beschwerden des palästinensischen Volkes die entsetzlichen Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen können. Und diese entsetzlichen Angriffe können die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes nicht rechtfertigen.“
  2. United Nations General Assembly Resolution ES-10/22
    forderte einen sofortigen Waffenstillstand im Israel-Hamas-Krieg, eine „sofortige und bedingungslose“ Freilassung der Geiseln, „die Gewährleistung eines humanitären Zugangs“ und enthielt die Forderung, dass „alle Parteien ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen“. 7 Die Resolution wurde am 12. Dezember 2023 mit großer Mehrheit von 153 Mitgliedsstaaten angenommen, wobei sich 23 Staaten enthielten und nur 10 Staaten dagegen stimmten. Unter den Staaten, die die Resolution ablehnten waren neben den historischen Verbündeten Israel und USA lediglich Österreich, Tschechien, und wenige Ausnahmen wie etwa Guatemala, Liberia, und Papua-Neuguinea, allesamt Staaten mit historisch bedenklicher Menschenrechtslage. Selbst so enge Verbündete Israels wie Deutschland und Großbritannien haben die Resolution nicht abgelehnt, sondern sich wie bei UN Resolution ES-10/21 der Stimme enthalten.

Behinderung internationaler Institutionen und Rechts

In ihrer Bemühung, im März 2024 und nach Monaten des Zögerns eine klare Forderung nach einem nachhaltigen Waffenstillstand in Gaza zu formulieren, wurden die EU-Staaten ganz wesentlich von Österreich blockiert, welches in wochenlangen Diskussionen eine Erweiterung der verabschiedeten Erklärung erzwingen wollte. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer wollte erwirken, dass die Vergewaltigung von Israelinnen durch Hamas-Kämpfer klar benannt und die sexuelle Gewalt der Hamas verurteilt wird. Dazu sagt Nehammer: „Die Hamas verwendet Menschen, Kinder, Frauen als Schutzschilde für ihr grausames Geschäft. Ziel eins muss es sein, die Hamas zu zerstören. Die Hamas könnte das Leiden sofort beenden. Ich sehe es in österreichischer Verantwortung, darauf hinzuweisen, wer ist der Verursacher dieser Tragödie, und das ist die Hamas.“ 8 Unabhängig davon, dass der Hinweis auf den Angriff der Hamas als Auslöser der aktuellen Konfliktsituation eine mehr als 50 Jahre andauernde, stetig eskalierende und illegale israelische Militärbesatzung des Gazastreifens außer Acht lässt, sind sämtliche Äußerungen Nehammers nicht belegt oder sogar widerlegt. Doch sollten wir hier näher auf jeden einzelnen Punkt eingehen:

  • Für den Vorwurf Nehammers, die Hamas würden Zivilisten als menschliche Schutzschilde einsetzen, gibt es keinen einzigen Beweis. Tatsächlich ist dieser Vorwurf nicht neu und wird von den Israeli Defense Forces (IDF) immer dann angeführt, wenn zivile Infrastruktur gezielt angegriffen wird. Bereits im Libanonkrieg 1982 warf man der Palestine Liberation Organization (PLO) vor, Zivilisten als Schutzschilde zu verwenden, während man Beirut völkerrechtswidrig belagerte und dessen vollkommen ungeschützte palästinensische Flüchtlingslager bombardierte. 9 Nun wiederholt sich die Geschichte mit ungleich mehr zivilen Todesopfern in Gaza. Die Investigativplattform Forensic Architecture, gegründet von Forschern des University College London, hat die offiziellen Argumente Israels, welche dem Internationalen Gerichtshof als Rechtfertigung für Bombardements ziviler Einrichtungen vorgelegt wurden, mittels visuellen Beweismaterials analysiert und weitgehend widerlegt. 10 In den Dokumenten der israelischen Anwälte wurden Krankenhäuser falsch eingezeichnet, von israelischen Bombardements verursachte Krater fälschlicherweise als Hamas-Abschussrampen deklariert und die Grenzen von UN Humanitarian Zones falsch ausgewiesen.
  • Der Vorwurf systematischer sexueller Gewalt der Hamas geht auf den Artikel „Screams Without Words“ der New York Times zurück, der weltweit für großes Entsetzen sorgte und vielfach zitiert wurde. 11Der Artikel wurde von der israelischen Filmemacherin und ehemaligen Geheimdienstmitarbeiterin der israelischen Luftwaffe Anat Schwartz mitverfasst und erschien im November 2023 in einem Moment, als die globale Opposition zu Israels Gaza-Feldzug Überhand gewann. Er enthält etliche entscheidende Ungereimtheiten. So wird darin der Hauptfall von Gal Abdush angeführt, einer Israelin, die dem Überfall der Hamas zum Opfer fiel. Abdushs eigene Familie widerlegt den Vergewaltigungsvorwurf: „Die Medien haben es erfunden. […] Wenn wir wüssten, dass der Titel über Vergewaltigung und Gemetzel sein würde, hätten wir nie zugestimmt.“ Die Autorin Anat Schwartz räumt in späteren Interviews ein, in mehreren Besuchen der Hilfszentren der betroffenen Kibbutzim keinen direkten Beweis von Vergewaltigungen oder sexueller Gewalt gefunden zu haben. 12 Selbstverständlich sind einzelne grausame Vorfälle im Zuge des Überfalls vom 7. Oktober nicht auszuschließen, von einer systematischen Kampagne der sexuellen Gewalt kann aber nach derzeitigem Informationsstand nicht auszugehen sein.

Als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, am 20. Mai 2024 Anträge für Haftbefehle gegen die führenden israelischen Politiker Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant auf Basis gesammelter Beweise zu etlichen Kriegsverbrechen wie dem „Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung“, „gezielte Angriffe gegen eine Zivilbevölkerung“ und „Auslöschung“ einreicht, reagiert Bundeskanzler Nehammer mit den Worten: „Dass die Anführer der Terrororganisation Hamas, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des Staates Israel ist, in einem Atemzug genannt werden mit demokratisch gewählten Vertretern ebendieses Staates, ist nicht nachvollziehbar.“ 16 17 Wiederum stellen sich angesichts dieser Worte etliche Fragen: Gilt internationales Recht denn für demokratisch gewählte Vertreter nicht? Recht gilt entweder für jeden, oder es ist wertlos. Ist das Ziel der Hamas tatsächlich die Vernichtung des Staates Israel? Tatsächlich akzeptiert die Hamas in ihren Statuten von 2017 einen Palästinenserstaat innerhalb der Grenzen von 1967, also vor der völkerrechtswidrigen Besatzung durch Israel. Damit erkennt selbst die Hamas eine Zweistaatenlösung und implizit das Existenzrechts Israels an. 18 Außerdem wurde die Hamas in den von internationalen Beobachtern abgesegnetenWahlen in Gaza von 2006 demokratisch gewählt. Dass es seither keine regulären Wahlen mehr gegeben hat, liegt unter anderem an internen Putschversuchen und einer von Israel unmittelbar nach Wahlergebnis auferlegten Blockade des Gazastreifens seit 2007. 19

Verwendung des Antisemitismusbegriffs als Waffe gegen Kritik

Erwähnenswert ist auch die Haltung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Kurz vor dem Start der Wiener Festwochen, kommentierte er die Einladungen der französischen Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux und des Ökonomen und ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis: „Für mich ist es unerträglich, dass unter dem Vorwand der Kunst- und Meinungsfreiheit, so wie das schon bei der Documenta in Kassel passiert ist, der Antisemitismus über die Hintertür zu uns ins Land getragen wird.“ Die Auftritte von Ernaux und Varoufakis seien „skandalös“, befindet Sobotka. Es sei „unsere historische Verantwortung nicht zuzulassen, dass Menschen, die einen derartig verzerrten moralischen Kompass haben, bei einer der größten Kulturveranstaltungen des Landes eine Bühne bekommen.“ Und: „Als Nationalratspräsident der Republik Österreich fordere ich den Intendanten der Wiener Festwochen auf, diese Herrschaften schleunigst wieder auszuladen.“ 20

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer Israels vom 7. Oktober 2023. (Quelle: Kurier)

Es ist müßig zu erwähnen, dass sich weder Varoufakis noch Ernaux jemals negativ über Juden geäußert haben oder das Existenzrecht Israels infrage stellen, sondern sich lediglich gegen die völkerrechtswidrige Besatzung und historische Unterdrückung der Palästinenser durch Israel aussprechen, ein Umstand der längst belegt ist und den wir in der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift im Detail behandelt haben (vgl. Die Stille Post, VOL.I, No.1). 21 Dennoch wird der harte Vorwurf des Antisemitismus gegen sie unterbreitet. Bei einer Sitzung des Wiener Gemeinderates wurde zudem eine Resolution einstimmig beschlossen, in der man sich vom geplanten Auftritt von Annie Ernaux distanziert. Die Haltung Sobotkas kann daher nicht als Einzelfall, sondern durchaus als parteiübergreifender Konsens gewertet werden. Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen antwortete in einem Offenen Brief auf die Anschuldigungen: Ernaux aufgrund ihrer Kritik gewisser Aspekte der israelischen Politik als „Antisemitin“ zu bezeichnen, sei „so falsch und absurd“, als würde man sie aufgrund ihrer Kritik der iranischen Regierung als „Islamhasserin“ oder aufgrund der Kritik ihrer eigenen Regierung als „frankophob“ bezeichnen. „Mit solchen Aktionen entleert man den Begriff des Antisemitismus, der ein reales Problem darstellt, das es gemeinsam zu bekämpfen gilt. Ernaux geht es bei all ihrer literarischen und politischen Arbeit um die Anklage von Gewalt und ein gewaltloses Zusammenleben.“ 22 Sobotkas Aussagen reihen sich direkt ein in einen internationalen Trend, der von Omer Bartov, jüdischer Professor für Holocaustund Völkermordstudien an der Brown University, als Weaponization of Antisemitism, also die Verwendung des Antisemitismusbegriffs als Waffe gegen jegliche Kritik an Israel, bezeichnet wird. 23

Österreichs Beziehung zu Israel im historischen Rückblick

Die oben genannten Beispiele ließen sich noch weiterführen, doch seien hier nur die Standpunkte von Österreichs mächtigsten Politikern (Bundespräsident, Nationalratspräsident, Bundeskanzler) exemplarisch wiedergegeben. Die entscheidende Frage ist, wie Österreichs führende Politiker zu derart überzeugten Unterstützern Israels wurden und selbst in Anbetracht eindeutiger Gegenbeweise bei ihren Standpunkten verharren, auch wenn es sie und damit das offizielle Österreich der Unglaubwürdigkeit preisgibt und zunehmend international isoliert. Ein kurzer historischer Rückblick sollte etwas Licht auf die aktuelle Situation werfen.
Die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Israel in der Nachkriegszeit waren äußerst wechselhaft und keineswegs immer freundlich. Österreich war einerseits das Heimatland etlicher hochrangiger Nationalsozialisten, aber auch von Theodor Herzl, dem Vater des Zionismus, und vieler jüdischer Auswanderer, die wesentlich an der Gründung Israels 1948 beteiligt waren. Viele Antisemiten und ehemalige Nationalsozialisten blieben in der Nachkriegszeit der 1950er und 1960er weitgehend unbescholten und unterstützten die Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU) als politische Vorgängerpartei der heutigen Freiheitlichen Partei (FPÖ), die nach etlichen Umfragen die aktuell stimmenstärkste Partei Österreichs ist. 24 In den 1970ern schließlich wählte Österreich mit dem Sozialdemokraten Bruno Kreisky einen jüdischen Bundeskanzler, der den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust überlebte, indem er ins schwedische Exil auswanderte. Kreisky sollte eine der dominantesten Figuren der europäischen Sozialdemokraten werden, regierte über 13 Jahre mit absoluter Mehrheit und nutzte Österreichs Neutralität um Wien zu einem internationalen diplomatischen Zentrum für Verhandlungen aufzubauen. Kreisky war auch stark an einer Lösung des Nahostkonflikts interessiert und davon überzeugt, dass die Spannungen in der Region nur durch ein Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern gelöst werden könnten. Er kritisierte die zunehmend harte Haltung Israels unter dem konservativen Premierminister Menachem Begin und nannte das Land 1978 einen „Polizeistaat“. 25 Unterdessen war Kreisky der erste westliche Staatschef, der sich mit Yassir Arafat, dem Führer der Palestine Liberation Organization (PLO), traf. 1980 ging Kreisky noch einen Schritt weiter und erkannte die PLO als offiziellen Vertreter des palästinensischen Volkes an. 26 Dies war zu einer Zeit, als die PLO bereits seit langem einen moderaten Kurs verfolgte, auf eine Zweistaatenlösung unter vollständiger Anerkennung des Existenzrechts Israels pochte, sowohl öffentlich als auch intern der Waffengewalt absagte und auf eine breite Zustimmung unter dem palästinensischen Volk von annähernd 90% bauen konnte. 27

Bundeskanzler Bruno Kreisky bei einer Pressekonferenz mit Willy Brandt und Yassir Arafat in Wien 1979. (Quelle: Kreisky – Jahr 2011)

In der Zeit nach Kreisky blieb das Verhältnis zwischen Österreich und Israel unterkühlt, speziell nach der Affäre um Kurt Waldheim, der 1986 zum Bundespräsidenten gewählt wurde und dem vorgeworfen wurde, seine Tätigkeit als SS-Offizier während des Zweiten Weltkriegs verschwiegen zu haben. Nach Waldheim kam es schließlich zu einer Entspannung der Beziehungen. 1993 reiste der sozialdemokratische Bundeskanzler Franz Vranitzky nach Jerusalem und hielt eine entscheidende Rede, in der er die Rolle Österreichs im Holocaust anerkannte und die Israelis um Vergebung bat. Zugleich war es Vranitzky, der Arafat im Bruno-Kreisky-Forum in Wien empfing und weiter um eine Vermittlerrolle Österreichs bemüht war. Im Jahr 2000 kam es schließlich zu einer Koalition der konservativen Volkspartei (ÖVP) mit der offen antisemitischen FPÖ unter Jörg Haider, was zu internationalen Sanktionen Österreichs führte und die Beziehungen zu Israel wieder merklich verschlechterte. Bundespräsident Heinz Fischer lud 2013 und 2016 eine palästinensische Delegation unter Präsident Mahmoud Abbas nach Österreich ein und baute so die neutrale Position Österreichs in Bezug auf den Nahostkonflikt aus.

Bundespräsident Heinz Fischer empfängt den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas 2016 in der Hofburg. (Quelle: Österreichische Vertretung des Staates Palästina)

Zu einer entscheidenden Annäherung der beiden Staaten Österreich und Israel kam es unter den jüngsten ÖVP-geführten Regierungen. Speziell Bundeskanzler Sebastian Kurz sah sich durch seine Koalitionsbildung 2017 mit der FPÖ veranlasst, die politische Führung Israels zu überzeugen und verbesserte Beziehungen zu Israel, als auch den „Kampf gegen Antisemitismus“ in Europa zu Schwerpunkten der folgenden EU-Ratspräsidentschaft zu erklären. Obwohl Israels Regierungsvertreter sich weiterhin weigerten mit FPÖ-Ministern zusammenzutreffen, baute die konservative ÖVP ein zunehmend nahes Verhältnis auf, sodass Sebastian Kurz den Premierminister Benjamin Netanyahu bald als „väterlichen Freund“ und dieser Kurz als „wahren Freund Israels“ bezeichnen sollte. Die verbesserten Beziehungen sollten nicht ergebnislos bleiben:
Allein zwischen 2018 und 2022 stiegen die österreichischen Exporte nach Israel um 50% an. Nachdem Kurz aufgrund einer Korruptionsuntersuchung 2021 sein Amt niederlegen musste, setzte Karl Nehammer dessen Arbeit als Bundeskanzler fort. Gemeinsam mit einer österreichischen Delegation aus Innenminister Gerhard Karner und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner wurde 2022 ein Abkommen zu einer umfassenden strategischen Partnerschaft mit Israel unterzeichnet, welches die Bereiche Rüstung, Wirtschaftsbeziehungen, Sicherheitspolitik und Terrorismusbekämpfung betrifft. 28

Bundeskanzler Karl Nehammer bei seinem Besuch der Klagemauer in Jerusalem.
(Quelle: Kurier)

Nehammer sagte dazu: „Israel verfügt über eine hohe militärische Kompetenz und eine sehr effiziente Rüstungsindustrie. In dieser Hinsicht gibt es in Österreich Nachholbedarf, daher sollte das Verteidigungsbudget erhöht werden. […] Von besonderem Interesse sind dabei die Drohnen- und Raketenabwehr.“ 9 Verteidigungsministerin Tanner ließ sich die israelische Drohnenabwehr vorführen und „war begeistert“. 29 Auch Innenminister Karner zog ein positives Resümee: „Die polizeilichen Kooperationen vor allem zur Bekämpfung der Cyber-Kriminalität waren ein wesentlicher Teil der Gespräche. […] Das Bundeskriminalamt wird in Zukunft noch stärker – vor allem durch Ermittlerkonferenzen – mit den israelischen Polizeibehörden kooperieren.“ 30 Ob und in welcher Form das österreichische Parlament oder gar der österreichische Bürger im Vorfeld derartig weitreichender Entscheidungen informiert war, bleibt fraglich. Auch dass Israels Rüstungsunternehmen, wie etwa der Konzern Elbit, vor allem deshalb führend sind, weil ihre Drohnen und Überwachungstechnologien permanent und nachweislich an einer palästinensischen Zivilbevölkerung in den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten desWestjordanlandes und Gazas getestet werden, scheint irrelevant zu sein. 31

Österreichische Delegation bestehend aus Bundeskanzler Nehammer, Innenminister Karner und Verteidigungsministerin Tanner bei Unterzeichnung einer Erklärung zur strategischen Partnerschaft mit Israel. (Quelle: ORF News)

Von entscheidender Bedeutung sind auch die vor der Mittelmeerküste entdeckten Erdgasvorkommen. Bereits EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte eine Absichtserklärung von Israel zur Flüssiggaslieferung nach Europa eingeholt. Dies entspricht einem geschätzten Liefervolumen von 10 Milliarden Kubikmetern für 2023. „Die großen Gasfunde vor der Küste ermöglichen es, dass sich Israel selbst versorgt. Und Israel kann auch exportieren“, sagt Nehammer dazu. 32 Weiters gehe es ihm darum, den österreichischen Mineralölkonzern OMV in eine gute Position zu bringen, solange die europäische Plattform nicht funktioniere. Dass ein großer Teil der natürlichen Gasvorkommen der Region direkt vor der Küste des Gazastreifens, in den sogenannten Gaza Marine Fields, gefunden wurde und ein Grund für die seit 2007 andauernde Seeblockade des besetzten Gebiets durch Israel ist, wurde offensichtlich nicht berücksichtigt. 33
Bei einem offiziellen Besuch in Israel 2019 schloss Bundespräsident Alexander van der Bellen sein Pressestatement mit den folgenden Worten: „Ich bin überzeugt: Österreich und Israel, das sind zwei Staaten, die noch viel miteinander vorhaben, sehr viel.“ 34 Darin sollte er recht behalten.


Quellen

  1. Human Rights Watch. A Threshold Crossed: Israeli Authorities and the Crimes of Apartheid and Persecution (Link), April 2021. ↩︎
  2. Amnesty International. Israel and occupied Palestinian territories (Link), 2022/23. ↩︎
  3. A. Baltzer. Witness in Palestine: A Jewish Woman in the Occupied Territories. Routledge, 2019. ↩︎
  4. Der Standard. Van der Bellen verteidigt israelfreundliche Positionierung der Bundesregierung (Link), December 2023. ↩︎
  5. Democracy Now. International Court of Justice Orders Israel to Prevent Genocide in Gaza But Fails to Order Ceasefire (Link), January 2024. ↩︎
  6. United Nations. General Assembly Adopts Resolution Calling for Immediate, Sustained Humanitarian Truce Leading to Cessation of Hostilities between Israel, Hamas (Link), October 2023. ↩︎
  7. United Nations. UN General Assembly votes by large majority for immediate humanitarian ceasefire during emergency session (Link), December 2023. ↩︎
  8. ORF News. EU fordert sofortige Feuerpause in Gaza (Link), March 2024. ↩︎
  9. N. Chomsky. Fateful Triangle: The United States, Israel, and the Palestinians. South End Press, 1999. ↩︎
  10. Forensic Architecture. An assessment of visual material presented by the Israeli legal team at the ICJ (Link), January 2024. ↩︎
  11. New York Times. ’Screams Without Words’: How Hamas Weaponized Sexual Violence on Oct. 7 (Link), December 2023. ↩︎
  12. The Intercept. ’Between the Hammer and the Anvil’: The Story Behind the New York Times October 7 Exposé (Link), December 2023. ↩︎
  13. United Nations. Secretary-General’s press conference on the situation in the Middle East (Link), December 2023. ↩︎
  14. United Nations. Gaza: Nearly 800,000 now displaced from Rafah (Link), May 2024. ↩︎
  15. Forensic Architecture. Humanitarian violence in Gaza (Link), March 2024. ↩︎
  16. CNN. Israel-Gaza updates (Link), May 2024. ↩︎
  17. International Criminal Court. Statement of ICC Prosecutor Karim A.A. Khan KC: Applications for arrest warrants in the situation in the State of Palestine (Link), May 2024. ↩︎
  18. ORF News. Haftbefehl gegen Netanjahu beantragt (Link), May 2024. ↩︎
  19. Hamas. Document of General Principles and Policies (Link), May 2017. ↩︎
  20. M. Gilbert and E. Fosse. Eyes in Gaza. Quartet, London, United Kingdom, 2010. ↩︎
  21. Kurier. Künstler ausladen: Antisemitismusdebatte überschattet Wiener Festwochen (Link), March 2024. ↩︎
  22. R. Khalidi. The Hundred Years’ War on Palestine: A History of Settler Colonialism and Resistance, 1917–2017. Metropolitan Books, 2020. ↩︎
  23. ORF News. Antisemitismusdebatte um Festwochen (Link), March 2024. ↩︎
  24. Democracy Now. Israeli Holocaust Scholar Omer Bartov on Campus Protests, Weaponizing Antisemitism & Silencing Dissent (Link), April 2024. ↩︎
  25. Statista. Sonntagsfrage zur Nationalratswahl in Österreich 2024 (Link), April 2024. ↩︎
  26. Politico. How Hitler’s homeland became Israel’s European BFF (Link), November 2023. ↩︎
  27. Vertretung des Staates Palästina in Österreich. Überblick über die Geschichte der österreichisch-palästinensischen Beziehungen (Link), April 2024. ↩︎
  28. N. Chomsky. Fateful Triangle: The United States, Israel, and the Palestinians. South End Press, 1999. ↩︎
  29. ORF News. Strategische Partnerschaft mit Israel (Link), July 2022. ↩︎
  30. Kurier. Israel-Besuch: Ballistische Raketenabwehr für Österreich ein Thema (Link), July 2022. ↩︎
  31. Bundesministerium für Inneres. Karner: Israel ist wichtiger Partner in Fragen der Sicherheit (Link), July 2022. ↩︎
  32. A. Loewenstein. The Palestine Laboratory: How Israel Exports the Technology of Occupation Around the World. Verso Books, 2023. ↩︎
  33. Kurier. Auf der Suche nach neuen Energiequellen: Kanzler Nehammer in Israel (Link), July 2022. ↩︎
  34. International Action Center. Behind Israel’s ’end game’ for Gaza: Theft of offshore gas reserves (Link), November 2023. ↩︎
  35. Bundespräsident Alexander van der Bellen. Pressestatement von Bundespräsident Alexander van der Bellen gemeinsam mit dem Staatspräsidenten von Israel, Reuven Rivlin (Link), Februar 2019. ↩︎