Im Zuge des Nahostkonflikts kam es zur Verbreitung etlicher Narrative, die in dominanten Medien bis zum heutigen Tag trotz eindeutiger Beweise des Gegenteils hartnäckig wiederholt werden.
Mythos: Kritik am Zionismus oder an Israel ist antisemitisch.
Der Zionismus unterscheidet sich grundlegend vom Judentum. Viele Juden sind daher der Meinung, dass der Zionismus selbst im Widerspruch zu jüdischen Prinzipien steht. Die überwiegende Mehrheit der traditionellen jüdischen Gemeinschaft in Palästina, die sogenannten Haredi, war ursprünglich gegen den Zionismus, und damit gegen die Staatsgründung Israels. Man befürchtete, dass die Gründung eines exklusiv jüdischen Staates zu einer Vermischung weltlicher und religiöser Werte führen würde und lehnte dies als Banalisierung der eigenen Religion ab. Viele der orthodoxen Haredi hatten daher in den 1930ern mit arabischen Palästinensern eine Allianz gegen den Zionismus gebildet und später die Palestine Liberation Organization (PLO) in ihrem Vorschlag eines demokratischen, sekulären Gesamtstaates in Palästina unterstützt. 1 Ein jüngeres Beispiel ist Not In Our Name (Nicht In Unserem Namen), eine international tätige Gruppe von Juden, die sich gegen die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel ausspricht und seit Beginn des Gaza-Krieges 2023 weltweit Proteste organisiert. An Besatzung und Diskriminierung ist nichts Jüdisches, und folglich ist nichts Antijüdisches daran, sich gegen sie auszusprechen. Tatsächlich ist es beleidigend zu behaupten, dass Kritik an Menschenrechtsverletzungen gleich Kritik am Judentum sei, was bedeuten würde beides miteinander gleichzusetzen. Trotz dieser offensichtlichen Tatsachen wird der Antisemitismusvorwurf bis zum heutigen Tag vehement gegenüber Personen und Gruppen vorgebracht, die sich mit den Palästinensern solidarisieren.
Mythos: Israel ist eine Demokratie.
Israel ist der Staat des jüdischen Volkes, nicht der Staat aller seiner Bürger, was auch wortwörtlich von nahezu allen israelischen Premierministern betont wurde. Nichtjüdische Staatsbürger sind von vielen automatisch gewährten Leistungen ausgeschlossen. Ungefähr 93% des Landes in Israel werden von der israelischen Landverwaltung, einer Erweiterung des Jewish National Fund, verwaltet, was es für nichtjüdische Bürger Israels entweder sehr schwierig oder sogar völlig unmöglich macht dorthin zu ziehen. Ein Großteil dieses Landes wurde den Palästinensern 1948 im Zuge der Nakba genommen. 2 Viele palästinensische Bürger Israels sind daher „interne Flüchtlinge“, denen die Rückkehr in ihre eigenen Dörfer innerhalb Israels verwehrt bleibt, während jüdische Israelis dasselbe Land frei besuchen, pachten oder kaufen können. Palästinensische Bürger Israels können wählen oder für ein Amt kandidieren, allerdings nur innerhalb eines begrenzten Rahmens: Jeder Kandidat, der mit dem erklärten Ziel kandidiert, dass Israel der Staat aller seiner Bürger – nicht nur des jüdischen Volkes – werden sollte, kann disqualifiziert werden. 3 Ein Beschluss des Obersten Gerichtshofs von 1989 stellte in einem Fall, in dem das Gesetz angefochten wurde, fest, dass „es notwendig ist, einen Juden oder Araber, welcher Gleichberechtigung der Araber fordert, einen Sitz in der Knesset [israelisches Parlament] oder die Wahl dazu zu verweigern“. Ein oberster Richter erklärte, dass eine politische Partei disqualifiziert werden sollte, wenn sie sich für „einen Staat, wie alle demokratischen Staaten, für die Gesamtheit aller seiner Bürger, ohne einen exklusiven Vorteil für das Jüdische Volk als solches“, einsetzt.

Obwohl sie Steuern zahlen, leben palästinensische Bürger in Israel in nichtjüdischen Vierteln und erhalten nur einen Bruchteil der gewährten Ressourcen und Dienstleistungen von jüdischen Vierteln. Darüber hinaus wird mehr als einem Drittel der Menschen, die unter israelischer Herrschaft leben, die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte und Schutzmaßnahmen verweigert. Sie haben somit keinerlei Recht, an der Regierung teilzunehmen, die ihr Leben kontrolliert. Dies sind die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen. Die Regierung, an der Nichtjuden in den besetzten Gebieten teilnehmen können, kann selbst über grundlegende Dinge, wie die Kontrolle der eigenen Grenzen, Sicherheit, Finanzen, oder Grundversorgung, nicht entscheiden (Palästinensische Autonomiebehörde).
Mythos: Der Nahostkonflikt ist ein uralter Krieg zwischen Juden und Muslimen, die einfach nicht miteinander auskommen.
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina begann erst vor Kurzem. Vor etwas mehr als 100 Jahren haben die in der Gegend lebenden Palästinenser – bestehend aus Muslimen, Christen und Juden – relativ harmonisch zusammengelebt. Im Allgemeinen wurden Juden in der muslimischen und arabischen Welt besser behandelt als fast überall sonst im christlichen Westen. 4 Mit der Einführung eines Staates allerdings, der die Rechte der Juden fördert und gleichzeitig die nichtjüdische Bevölkerung enteignet und ausschließt, war man mit dem Aufkommen von Gewalt konfrontiert. Zudem sind hunderttausende Palästinenser Christen (etwa 20% der palästinensischen Gesamtbevölkerung) und unterliegen daher innerhalb Israels und dessen besetzter Gebiete denselben Einschränkungen wie ihre muslimischen Mitbürger. Daher kann der Nahostkonflikt auch als ein moderner Kampf für Menschenrechte und Gleichheit, und nicht als Krieg zwischen Juden und Muslimen betrachtet werden. Der historische Präzedenzfall des Zusammenlebens von Muslimen, Christen und Juden in Palästina kann eine hoffnungsvolle Erinnerung daran sein, dass es von Natur aus nicht unmöglich ist, wenn diese Bevölkerungsgruppen ein Land ohne diskriminierende Strukturen teilen.
Mythos: Israel setzt Gewalt nur als letztes Mittel ein, um sich zu verteidigen und Terroranschläge zu verhindern.
Menschenrechtsorganisationen haben umfangreiche, unverhältnismäßige und wahllose Gewaltanwendung durch die israelische Armee über 40 Jahre hinweg dokumentiert. Laut Amnesty International wurden beispielsweise die meisten der in der Zweiten Intifada von Soldaten getöteten Kinder angegriffen: „Es kam zu keinem vorherigen Schusswechsel und unter keinen Umständen war das Leben der Soldaten gefährdet.“ 5 B’Tselem, das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebiete, beschrieb die Situation wie folgt: „In jeder Stadt und jedem Flüchtlingslager, das sie betreten haben, haben IDF-Soldaten [Israel Defense Forces] dasselbe Muster wiederholt: Wahllose Schüsse und anschließende Tötung unschuldiger Zivilisten, vorsätzliche Schädigung der Wasser-, Strom- und Telefoninfrastruktur, Übernahme ziviler Häuser, umfangreiche Beschädigung von zivilem Eigentum, Schüsse auf Krankenwagen und Verhinderung der medizinischen Versorgung von Verletzten.“ 6 Auch Human Rights Watch hat dieses Vorgangsweise bestätigt: „Zivilisten wurden vom israelischen Militär vorsätzlich oder unrechtmäßig getötet, welches die palästinensischen Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ einsetzte und wahllose und exzessive Gewalt anwendete.“ 7 In einem Interview mit Ha’aretz-Reporter Amira Hass hat ein israelischer Scharfschütze die Befehle beschrieben, die er von seinen Vorgesetzten erhalten hatte: „Ab zwölf Jahren darf man auf sie [die Palästinenser] schießen.“ 8 Wichtig ist dabei die Feststellung, dass dies keine Einzelfälle, sondern das systematische Verhalten über den Zeitraum von Jahrzehnten darstellt. Israel nutzt auch Demütigungstaktiken, wie in der Stadt Halhul, wo wichtige Persönlichkeiten der Stadt mitten in der Nacht von Soldaten aus ihren Häusern zum Stadtplatz gebracht wurden, wo ihnen „befohlen wurde, aufeinander zu urinieren und zu defäkieren, die Hatikva [‚Die Hoffnung‘, die Nationalhymne Israels] zu singen und ‚Lang lebe der Staat von Israel‘ zu rufen. […] Einigen wurde sogar befohlen, die Erde zu lecken.“ Andere palästinensische Häftlinge und Zivilisten haben berichtet, dass sie gezwungen wurden, auf allen Vieren zu kriechen und wie Hunde zu bellen. Kinder wurden gezwungen, ihre Eltern zu schlagen. Soldaten schrieben Nummern auf die Arme palästinensischer Gefangener am Holocaust-Gedenktag. Bei näherer Betrachtung ergeben die meisten Aspekte der Besatzung im Kontext der Selbstverteidigung keinen Sinn. Wenn man sein Land sichern möchte, müsste man seine Grenzen definieren. Starke, befestigte Grenzen sind gut für die nationale Sicherheit. Aber Israel hat in seiner gesamten Geschichte nie offiziell seine eigenen Grenzen definiert. Seine Grenzen wachsen weiter auf immer mehr palästinensischem Land. 9 Die meisten Institutionen der israelischen Besatzung sind weniger im Einklang mit der Verteidigung des eigenen Landes als mit dem Wunsch nach Herrschaft und Expansion. Während Palästinenser von der israelischen Armee unter Generalverdacht des Terrorismus gestellt werden, wird oft verschwiegen, dass hochrangige israelische Politiker selbst Anführer von international geächteten Terrororganisationen waren: Der ehemalige Premierminister und Gründer der Likud-Partei, Menachem Begin, war Anführer der Irgun. Der ehemalige Außenminister und Premierminister Yitzhak Shamir
war Kommandant der Lehi (Stern-Gruppe). Gemeinsam sind die zionistischen Terrororganisationen Irgun und Lehi für etliche der schlimmsten Massaker und ethnischen Säuberungen der Nakba 1948 verantwortlich, darunter das Deir-Yassin-Massaker, mit 250 wehrlosen, zivilen Todesopfern, darunter über 100 Frauen und Kinder, und die politischen Attentate auf Lord Moyne (britischer Regionalminister des Nahen Ostens) und Folke Bernadotte (schwedischer UN-Mediator). 10
Mythos: Die Wendungen „From the River to the Sea, Palestine will be Free“ und „Intifada“ sind antisemitisch.
Obwohl die Phrase „From the River to the Sea, Palestine will be Free“ zunächst per definitionem die Freiheit aller Bewohner des Gebiets des historischen Palästinas vom Jordanfluss zum Mittelmeer fordert, wurde sie von verschiedenen Interessensgruppen unterschiedlich aufgegriffen: Die Palestine Liberation Organisation (PLO) unter Yassir Arafat verwendete den Satz ab den 1960ern in ihrer Forderung nach einem demokratischen, sekulären Staat in der Gesamtheit des historischen Palästina. 11 Israels Likud-Partei verwendet den Satz in abgewandelter Form als „Between the sea and the Jordan there will only be Israeli sovereignty“ in ihren Statuten seit 1977 und spricht sich darin unmissverständlich gegen einen Palästinenserstaat aus. 12 Die aktuelle Haltung des Likud-Parteichefs Benjamin Netanjahu gegen eine Zweistaatenlösung kann daher kaum als Überraschung gewertet werden. Aus obigen Erklärungen wird ersichtlich, dass die Phrase „From the River to the Sea, Palestine will be Free“ für sich genommen definitiv nicht antisemitisch ist. Der Begriff „Intifada“ bedeutet „Aufstand“ und kann auch friedliche Formen annehmen. Tatsächlich begann die Erste Intifada 1987 als gewaltfreier, ziviler Ungehorsam gegen die Besatzungmacht im Westjordanland und spitzte sich zu, als die israelische Armee mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten schoss, was zu erheblichem internationalen Protest führte. In der Zweiten Intifada kam es schließlich auch zu Selbstmordattentaten durch palästinensische Terroristen in Städten wie Jerusalem und Haifa.
Mythos: Die arabischen Nachbarstaaten erkennen Israel nicht an und wollen es bekämpfen.
Israel hat seit seiner Staatsgründung klar expansive Schritte gesetzt, ohne dazu unmittelbar provoziert worden zu sein. Zunächst hatte man sich im Unabhängigkeitskrieg 1948 bereits etwa die Hälfte der durch den UN-Teilungsplan vorgesehenen Palästinensergebiete einverleibt. Diese konfrontative Außenpolitik wurde danach im Suezkrieg 1956 fortgesetzt und fand ihren vorläufigen Höhepunkt im Sechstagekrieg 1967, als die strategisch wichtigen Golanhöhen (syrisches Staatsgebiet), die Sinai-Halbinsel (ägyptisches Staatsgebiet), der Gazastreifen und das Westjordanland (Palästinensergebiete) blitzkriegartig erobert wurden. Entgegen verbreiteter Meinung war Israel während dieser Feldzüge zu keinem Zeitpunkt durch seine arabischen Nachbarstaaten bedroht, was sowohl durch veröffentlichte US-Geheimdienstdokumente, als auch durch Aussagen involvierter israelischer und amerikanischer Politiker belegt ist: Der damalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara informierte, dass „nach unserem besten Urteil keinerlei Angriff auf Israel bevorsteht“. US-Präsident Lyndon B. Johnson unterstrich die Einschätzung von Israels militärischer Überlegenheit: „Alle unsere Geheimdienstleute sind sich einig: Sollte Ägypten [Anm.: Israels militärisch stärkster Nachbarstaat] angreifen, werdet ihr ihnen die Hölle heiß machen“ In Washington war damals bereits klar, dass Israels Militärmacht deutlich stärker als jene seiner arabischen Nachbarstaaten zusammengenommen war.38 Israels Premierminister Menachem Begin sollte die aktive Rolle Israels später mit den folgenden Worten bestätigen: „Im Juni 1967 hatten wir wieder dieWahl. Die Konzentration der ägyptischen Armee im Sinai beweist nicht, dass [der ägyptische President] Nasser uns wirklich angreifen wollte. Wir müssen ehrlich mit uns sein. Wir entschieden uns ihn anzugreifen.“ 13
Mythos: Palästinensische Bücher schüren Hass gegen das jüdische Volk.
Es besteht die weitverbreitete Überzeugung, dass palästinensische Schulbücher die Israelis dämonisieren und palästinensischen Kindern lehren Juden zu hassen. Dieser besondere Mythos stammt von Itamar Marcus, einem israelischen Siedler, der die Organisation Center for Monitoring the Impact of Peace gründete. Marcus’ Behauptungen wurden von palästinensischen, israelischen, amerikanischen und europäischen Studien widerlegt, die den tatsächlichen Inhalt palästinensischer Texte untersuchten. 14 Als Reaktion auf den Druck des Kongresses, die Anschuldigungen zu untersuchen, hat die US-Regierung das Israel-Palestine Center for Research and Information mit der Einberufung eines Teams von professionellen Pädagogen – Israelis, Palästinensern und Amerikanern – beauftragt, um die Vorwürfe zu untersuchen. Ihr Bericht aus dem Jahr 2003 kam zu dem folgenden Schluss: „[Die palästinensischen] Schulbücher hetzen nicht gegen Israel oder gegen den Frieden“ und „die allgemeine Ausrichtung des Lehrplans ist trotz der Härte und gewalttätigen Realität vor Ort friedlich. […] Religiöse und politische Toleranz wird betont.“ 15 In Europa erleichterte das renommierte Georg Eckert Institute for International Textbook Research die Aufklärung der Vorwürfe. Ausschüsse des US-Senats und des Europäischen Parlaments haben beide Anhörungen zu diesem Thema abgehalten. Im Allgemeinen wurden die Lehrbücher kaum eines anderen Volkes einer strengeren Prüfung unterzogen als jene der Palästinenser. Eine Nahost-Arbeitsgruppe der Europäischen Union befand, dass die Lehrbücher „frei von aufstachelnden Inhalten seien und einen wertvollen Beitrag leisten zur Bildung junger Palästinenser “. Tatsache ist, dass Palästinenser in ihren Lehrbüchern keinen Hass schüren könnten, selbst wenn sie das wollten, da sämtliche veröffentlichten Materialen von der militärischen Besatzungsmacht Israel, aber auch von Weltbank und Europäischer Union überwacht, kontrolliert und zensuriert werden. Was durchaus genauere Betrachtung verdient, sind die Lehrbücher der Israelis. Nurit Peled-Elhanan, israelische Professorin für Philologie an der Hebrew University of Jerusalem, hat sich in ihrem Buch „Palestine in Israeli school books: Ideology and propaganda in education“ mit der Unterdrückung der palästinensischen Kultur in israelischen Schulbüchern befasst: Spuren von palästinensischem Leben oder Geschichte sollten systematisch ausgelöscht werden, was 2011 durch das sogenannte Nakba-Gesetz seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Die Knesset hat das Gesetz verabschiedet, das jegliche öffentliche Erinnerung an die Katastrophe der Vertreibung der Palästinenser 1948 unter Strafe stellt. In sämtlichen von Peled-Elhanan analysierten Büchern kommt der Begriff „Palästinenser“ entweder gar nicht vor, oder nur in Verbindung mit Terrorismus. 16 Professor Dan Bar-Tal von der Universität Tel Aviv kam aus einer Untersuchung von 124 israelischen Lehrbüchern zu dem Schluss, dass „im Laufe der Jahre Generationen israelischer Juden eine negative und oft delegitimierende Sicht von Arabern gelehrt wurde.“ Bar-Tal berichtet über zwei Hauptthemen arabischer Merkmale in israelischen Lehrbüchern. Das eine impliziert „Primitivität“ und eine „Minderwertigkeit gegenüber Juden“. Das andere präsentierte Araber als gewalttätig, brutal, nicht vertrauenswürdig, grausam, fanatisch, heimtückisch und aggressiv. In einem Artikel mit dem Titel ‚All the wrong facts‘ zitiert der Ha’aretz-Reporter Akiva Eldar zahlreiche Studien, die nicht nur zu dem Schluss kommen, dass viele israelische Lehrbücher Araber entmenschlichen, sondern auch dass das Wort „Palästinenser“ völlig fehlt. Auch vielen Lehrmaterialien fremd war die Green Line, die Israel von den palästinensischen Gebieten von 1967 trennte. Jene Karten, die das Westjordanland beschreiben, bezeichnen es oft als „Judäa und Samaria“ oder „Palästina-Eretz Israel“, also als Teil des „Landes Israel“. 17
Mythos: Die vom palästinensischen Gesundheitsministerium veröffentlichten Todeszahlen sind nicht belastbar und nicht glaubwürdig.
Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen wurden immer wieder Zweifel an der Validität der Daten der palästinensischen Behörden geäußert. Konfrontiert mit den massiven Verlusten von zivilen Menschenleben, sagte US-Präsident Joe Biden, er hätte „kein Vertrauen in die Zahlen, die die Palästinenser verwenden.“ 18 Und das, obwohl das US State Department über Jahre eben jene Zahlen für die eigenen Prognosen verwendet hat. Auch hierzulande verwendet der öffentlich-rechtliche Österreichische Rundfunk (ORF) stets die Formulierungen „von der radikal-islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde“, und dass deren Daten „nicht unabhängig überprüfbar“ wären, was ihnen implizit jede Glaubwürdigkeit abspricht. Unabhängige Studien, welche im medizinischen Fachjournal The Lancet erschienen sind, widersprechen dieser Annahme eindeutig:
„Das Gesundheitsministerium von Gaza hat in der Vergangenheit genaue Sterblichkeitsdaten gemeldet, wobei die Abweichungen zwischen der Berichterstattung des Gesundheitsministeriums und unabhängigen Analysen der Vereinten Nationen in früheren Konflikten zwischen 1,5% und 3,8% lagen.“ 19 Weiters stellen die Studienautoren fest, dass ihre „Analyse auf eine hohe Übersterblichkeit unter den Bevölkerungsgruppen im Gazastreifen hinweist, bei denen es sich wahrscheinlich größtenteils um Zivilisten handelt, darunter humanitäre Helfer und Mitarbeiter des Gesundheitswesens, was darauf hindeutet, dass in diesem Zeitraum eine beträchtliche Anzahl von Palästinensern getötet wurde. Bewertungen der Gültigkeit der Daten des palästinensischen Gesundheitsministeriums im Konflikt von 2014 hatten gezeigt, dass sie korrekt waren, und wir sahen keinen offensichtlichen Grund, an der Gültigkeit der Daten zwischen dem 7. und 26. Oktober 2023 zu zweifeln.“ 20
UNO und WHO schätzen, dass die Zahlen der palästinensischen Behörden zu konservativ sind und die tatsächlichen Opferzahlen deutlich höher liegen, da nicht eindeutig bestätigte Opfer wie Verschüttete nicht gezählt werden. Nathaniel Raymond, Direktor des Humanitarian Research Lab an der Yale University, sagt dazu: „Es ist eine logische Annahme, dass die gemeldeten Zahlen unterschätzt und niedrig sind. […] Die palästinensischen Datenerfassungskapazitäten sind professionell und viele Mitarbeiter des Ministeriums wurden in den Vereinigten Staaten geschult. Sie arbeiten hart daran, die statistische Genauigkeit sicherzustellen.“ 21
Mythos: Eine Zweistaatenlösung ist der einzige Ausweg.
Das Prinzip der Zweistaatenlösung wurde bereits in den 1970er Jahren durch PLO-Vertreter wie Said Hammami und später auch Yassir Arafat für eine dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts vorgeschlagen. Aufgrund der Übereinkunft Israels mit seinem arabischen Nachbarn Ägypten im Zuge der Camp-David-Friedensverhandlungen 1979 trat dieses Ziel in den Hintergrund. Bei Camp David wurden nämlich unter Ausschluss der Palästinenser deren „Recht auf Autonomie“, nicht jedoch das Recht auf einen eigenen souveränen Staat festgelegt. 22 Die Konsequenzen waren weitreichend und führten zu einer Beschleunigung der israelischen Siedlungstätigkeit in den besetzten Palästinensergebieten, während Ägypten durch die Rückgabe der Sinai-Halbinsel zufriedengestellt war. Selbst nach den Verhandlungen zum Oslo-Friedensprozess 1995 wurden Siedlungen und die durch Mauern und Checkpoints bewirkte Fragmentierung des palästinensischen Lebens im Westjordanland und Gaza vorangetrieben, was im Widerspruch zu den unterzeichneten Vereinbarungen steht. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem dokumentiert diese Entwicklung in akribisch recherchierten digitalen Karten. 23

(Quelle: Baltzer, 2019)
Das Resultat ist, dass ein zusammenhängendes Gebiet für einen potenziellen Palästinenserstaat praktisch unwiderbringlich verloren ist, weshalb viele Experten die Zweistaatenlösung als gescheitert ansehen. Speziell die für die Nahostregion strategisch wichtigen Süßwasserreserven des Jordantales und die Ressourcenknappheit Gazas stellen weitere Hindernisse für die Koexistenz von zwei unabhängigen Staaten (Israel, Palästina) dar. So wird geschätzt, dass der Süßwasserbedarf Israels zu etwa einem Drittel durch Quellen des besetzten Westjordanlandes gedeckt wird. Daher ist ein zusammenhängender demokratischer Staat, der die gleichen Rechte für alle Bewohner (Juden, Araber, etc.) unabhängig von Religion und Ethnie garantiert (Einstaatenlösung) eine veritable Lösung für die Region, die aber im Widerspruch zum aktuellen Selbstverständnis Israels als exklusiv jüdischem Nationalstaat steht. 24
Quellen
- N. Chomsky. Fateful Triangle: The United States, Israel, and the Palestinians. South End Press, 1999. ↩︎
- I. Pappé. The Ethnic Cleansing of Palestine. Simon and Schuster, 2007. ↩︎
- Basic Laws of Israel: The Nation State of the Jewish People. The Knesset (1958). Jewish Virtual Library, March 2024. ↩︎
- A. Baltzer. Witness in Palestine: A Jewish Woman in the Occupied Territories. Routledge, 2019. ↩︎
- Amnesty International. Killing the future: Children in the line of fire (Link), 02/005/2002. ↩︎
- B’Tselem. A Deadly Pattern: Press Release (Link), March 2002. ↩︎
- Human Rights Watch. Israel/Occupied Territories: Jenin War Crimes Investigation Needed (Link), 2002/05/02. ↩︎
- A. Hass. „Don’t shoot till you can see they’re over the age of 12“. Ha’aretz, November 2000. ↩︎
- B’Tselem. Conquer and Divide – The Shattering of Palestinian Space by Israel (Link), January 2024. ↩︎
- R. Khalidi. The Hundred Years’ War on Palestine: A History of Settler Colonialism and Resistance, 1917–2017. Metropolitan Books, 2020. ↩︎
- NPR News. How interpretations of the phrase ’from the river to the sea’ made it so divisive (Link), November 2023. ↩︎
- Likud Party. Original Party Platform (1977). Jewish Virtual Library, January 2024. ↩︎
- N. Chomsky. Fateful Triangle: The United States, Israel, and the Palestinians. South End Press, 1999. ↩︎
- L. Traubman. Reports on Palestinian kids’ hatred grossly exaggerated. Jewish News Weekly of Northern California, February 2004. ↩︎
- Israel/Palestine Center for Research and Information. Reviewing Palestinian Textbooks and Tolerance Education Program. Public Affairs Office of the US Consulate General in Jerusalem, January 2003. ↩︎
- N. Peled-Elhanan. Palestine in Israeli school books: Ideology and propaganda in education. Bloomsbury Publishing, 2013. ↩︎
- A. Eldar. Learning all the wrong facts. Ha’aretz, December 2004. ↩︎
- Reuters. Biden says he has ’no confidence’ in Palestinian death count (Link), October 2023. ↩︎
- B. Q. Huynh, E. T. Chin, and P. B. Spiegel. No evidence of inflated mortality reporting from the Gaza Ministry of Health. The Lancet, 403(10421):23–24, 2024. ↩︎
- Z. Jamaluddine, F. Checchi, and O. M. Campbell. Excess mortality in Gaza: Oct 7–26, 2023. The Lancet, 402(10418):2189–2190, 2023. ↩︎
- Reuters. How many Palestinians have died in Gaza? Death toll explained (Link), December 2023. ↩︎
- S. Anziska. Preventing Palestine: A Political History from Camp David to Oslo. Princeton University Press, 2020. ↩︎
- B’Tselem. Conquer and Divide – The Shattering of Palestinian Space by Israel (Link), January 2024. ↩︎
- Amnesty International. Israel’s apartheid against Palestinians (Link), February 2022. ↩︎